Wer pflegt? Who cares?

Emine habe ich vor etwa 30 Jahren kennen gelernt, damals war sie eine junge Frau, kurdische Türkin, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann geflohen ist. Da sie in Deutschland kein eigenständiges Aufenthaltsrecht hatte, sollte sie abgeschoben werden, sie hat es gewagt, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Mit einer Gruppe Frauen setzten wir uns dafür ein, dass sie in Deutschland bleiben konnte. Erfolgreich, allerdings war die Bedingung des Ausländeramtes, dass sie Krankenpflegerin wird, eigentlich wollte sie Automechanikerin werden. Schon damals gab es mehr pflegbedürftige Menschen in Deutschland als Menschen, die diese Arbeit machen wollten.

 

Ich weiß nicht ob Emine immer noch als Krankenpflegerin arbeitet. Wahrscheinlich nicht, wie so viele ausgebildete Pflegekräfte. Falls doch, dann hoffe ich, dass sie alles gut übersteht. Für mich ist sie ein Beispiel für die vielen unbekannten Heldinnen des Alltags dieser Pandemie.

 

Das Problem des Mangels an Pflegekräften ist nicht neu sondern Jahrzehnte alt. Es hat aber nicht dazu geführt das Wertschätzung und Lohn gestiegen sind oder gar bessere Arbeitsbedingungen geschaffen wurden. Im Gegenteil zum Zuwachs an alten pflegebedürftigen Menschen wurden die Arbeitsbedingungen in der Pflege durch Bürokratisierung, Fallpauschalen und enge Zeittaktung verschärft. Deswegen müssen dafür nach wie vor Menschen aus anderen Ländern genötigt oder rekrutiert werden. Da reist auch mal der Gesundheitsminister nach Mexiko um dort bei Pflegekräften dafür zu werben, nach Deutschland zu kommen; wie praktisch, die sind ja dann schon ausgebildet. Uninteressant ob sie in Mexiko vielleicht ebenso gebraucht werden.

 

Leider ist es in anderen Ländern des reichen Nordens nicht besser. In Schweden kam es während der ersten Corona-Welle in vielen Altenheimen zu katastrophalen Zuständen, weil diese oft von schlecht bezahlten Arbeitskräften aus Osteuropa aufrecht erhalten wurden und dann eben nicht mehr, da viele von ihnen nach Ausbruch der Pandemie zurück in ihre Heimatländer geflohen sind.

 

Ich arbeite teilzeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Im Zuge der Pandemie werden jetzt auch Leute wie ich, im Schnellverfahren, in Pflege „ausgebildet“ um im Notfall einzuspringen. Zugegebenermaßen bin ich nur begrenzt geeignet. Dabei wollte ich in jungen Jahren unbedingt Krankenschwester werden. Es war in der Phase als ich viel zu viele Arztromane gelesen habe. „Die Arztromane habe ich mit 12 schon hinter mir gelassen“. Die Nachbarstochter die sie mir damals geliehen hat ist inzwischen selber Ärztin, statt selbstlose Krankenschwester geworden. Gut so, der Mythos der sich aufopfernder Krankenschwester zieht nicht mehr. Es hat sich herum gesprochen, dass diese Arbeit nicht besonders romantisch ist.

 

Auf dem Tiefpunkt im Winter 2020/21 werden nach wie vor Kliniken aus ökonomischen Gründen still gelegt. Der Applaus ist verklungen und mehr Geld gibt es auch nicht für die Pflegekräfte, denen nun langsam die Puste ausgeht.

 

Mein kurzer Rückfall in die Vorstellung als rettender Engel die siechende Menschheit zu heilen, hatte sich dann recht schnell erledigt. Ich musste doch einsehen, dass ich wohl eher zu den Krankenschwestern gehöre „die vor der Lungenklinik stehen und rauchen und eigentlich selber eine Krankenschwester brauchen“.

 

Ich verneige mich im Respekt vor allen Pflegenden. Da kann es gar nicht genug Applaus für geben. Es sollte nur nicht beim Applaus allein bleiben, sondern mehr Lohn geben, aber vor allem bessere Arbeitsbedingungen und eine Korrektur der gesellschaftlichen Werte. Nichts gegen Popstars oder Fußballprofis, aber ich finde wir sollten dabei bleiben häufiger diejenigen zu beklatschen, die sich um andere kümmern.

 

Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch im privaten schon immer viel unbezahlte, care-Arbeit geleistet wird, auf Grund der Corona-Pandemie mit steigender Tendenz. Denn viele Menschen haben ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu sich nach Hause geholt und versorgen sie dort um die Einrichtungen zu entlasten und aus Sorge um ihre Nächsten. Applaus ebenso für die Eltern, vor allem die Mütter (nach wie vor), die sich jetzt neben Erwerbsarbeit und Bewältigung des Haushaltes auch noch ganztags um die Kinder kümmern.

 

Ich finde es ziemlich deprimierend, dass sowohl der Pflegenotstand, als auch die Klimakrise schon seit Jahrzehnten als schwerwiegende Probleme bekannt sind ohne dass sich grundsätzlich etwas geändert hat. Die bevorzugte Lösungsstrategie besteht nach wie vor darin das Problem in andere Länder auszulagern. Energie durch Fracking in Argentinien oder den USA kann hier als grün-gewaschen durch gehen, obwohl sie dort enorme ökologische Zerstörung hinterlässt. Der Mangel an Pflegekräften wird ausgeglichen indem junge, gut ausgebildete Menschen aus anderen Ländern abgeworben oder deutsche Altenheime gleich nach Thailand verlegt werden.

 

Eine wirkliche Lösung von Klimakrise und Pflegenotstand kann nur gelingen wenn diese ausbeuterischen, postkolonialen Strukturen überwunden werden und die Pflege des Lebens die nötige Wertschätzung erfährt.

 

Es gibt ein Zitat vom Dalai Lama:

 

Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr. Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art.“

 

Ich möchte ergänzen:

 

…und Erzieherinnen, Verkäufer, Busfahrerinnen, Landwirte, (…) und Pflegende aller Art.