Die Impfdebatte und die Massenpsychologie von Seuchen

Das was zur Zeit in Deutschland passiert kann ich mir nur noch mit der Psychologie von Massenphänomenen erklären.

 

Die Impfungen scheinen auf der einen Seite mit dem Wunsch nach Erlösung  verknüpft und auf der anderen Seite als extreme Bedrohung wahrgenommen zu werden. Die Spaltung zwischen Kritiker*innen und Befürworter*innen von Infektionsschutz- maßnahmen verhärtet sich immer mehr. Die staatliche Propaganda und die sehr einseitige Berichterstattung wirken dabei polarisierend.  Dabei wäre doch die Aufgabe der Medien zu vermitteln. 

 

In der Geschichte gibt es viele Beispiele dafür, dass Seuchen irrationale Psychodynamiken auslösen können, bei denen es um das Bedürfnis geht Schuldige auzfindig zu machen und zu bestrafen. Ausgelöst durch Angst und Kontrollverlust können, im Zusammenhang mit übertragbaren Krankheiten, gefährliche Massenpsychosen entstehen.

 

Es stellte sich heraus, was eigentlich schon bekannt aber nicht allen bewusst war, dass die Impfungen zwar schwere Krankheitverläufe meist verhindern, aber nur eingeschränkten Schutz vor Infektionsübertragung und Erkrankungen bieten. Dazu überraschte es wohl alle, selbst die STIKO, wie schnell diese eingeschränkte  Wirkung nach lässt. Außerdem gibt es diese saisonale Verschlimmerung der Pandemie im Herbst/Winter, was ja zu erwarten war. Viele hatten sich in vermeintlicher Sicherheit gewiegt und gedacht sie könnten wieder zum gewohnten Leben zurück kehren, Massenveranstaltungen und Flugreisen inbegriffen. Eine Fehleinschätzung, die von der Politik aktiv gefördert wurde und an die vielleicht auch viele Politiker*innen, wider wissenschaftlicher Erkenntnisse, geglaubt haben. So sind wir mit Vollgas in die 4. Welle geschliddert.

Es ist menschlich, vorausschauendes Handeln fällt schwer, besonders wenn es Einschränkungen im hier und jetzt erfordert. Das kennen wir ja von der Klimaproblematik. Es wird erst gehandelt wenn es (fast) zu spät ist.

 

Nun werden für die 4. Krankheitswelle die „Ungeimpften“ verantwortlich gemacht. Wut, Enttäuschung, Trauer über Verlust und  Einschränkungen ... alles kann auf eine Gruppe projeziert werden. Entlastend für alle Geimpften, die sich selber unvorsichtig verhalten (haben). Sie können Privilegien in Anspruch nehmen und sich dabei moralisch überlegen fühlen. Praktisch auch für alle die auf politischer oder wissenschaftlicher Ebene Verantwortung tragen, um von der eigenen Hilflosigkeit abzulenken.

In Bezug auf die Corona-Pandemie wird so ein Sündenbockschema bedient, wie es in der Geschichte auch bei anderen Seuchen geschehen ist. Erschreckend zu erleben wie einfach eine zwei Kasten Gesellschaft etabliert wird. Vermeintlich zum Schutz der Ungeimpften, aber wohl auch um sogenannte "Impfanreize" zu setzen, durch Ausgrenzung und Existenzdruck.

3G+ (also alle getestet) wird als Option für Veranstaltungen nicht erlaubt, obwohl es vom Infektionsschutz eher sicherer wäre.

Besonders paradox erscheint es mir, dass viele vermeintlich fortschrittliche, liberale Menschen, die sich als  antifaschistisch begreifen, die  Ausgrenzung der Ungeimpften nicht nur hinnehmen, sondern mitunter sogar focieren.

Von der globalen Perspektive her gesehen ist es sowieso absurd, dass in manchen Ländern schon die 4. Boosterimpfung ansteht , während etwa die Hälfte der Menschheit überhaupt keinen Zugang zu Impfstoffen hat. So kann eine Pandemie auf dem Impfweg nicht überwunden falls es überhaupt möglich sein sollte, was bei einem so schnell mutierenden Virus fraglich ist. Leider führt die Fixierung auf die Impfungen dazu, dass andere Möglichkeiten (außer Kontaktbeschränkungen, Maske) weniger wahrgenommen werden, zumindest nicht von staatlicher Seite aus.

Rational betrachtet hat die Impfquote zwar einen Einfluss auf die Anzahl der Infektionen und schweren Erkrankungen, aber es gibt offensichtlich noch andere Faktoren. Wie sich aus der Betrachtung der Situation in verschiedenen Ländern deutlich zeigt. In Gegenden mit  niedriger Impfquote, wie in Sachsen oder Rumänien, ist die Situation oft schwierig, aber in Ländern mit sehr hoher Impfquote, wie Portugal, auch nicht einfach. In Schweden, mit einer ähnlich hohen Impfquote wie Deutschland, ist sie entspannter und vor allem in Hinsicht auf die psychosozialen Kollateralschäden deutlich positiver.

Wobei alles ja nur eine Momentaufnahme ist, die sich mit dem Auftauchen neuer Mutationen, wie Omikron, schnell verändern kann.

 

Ethisch lässt sich, meiner Meinung nach, wenn überhaupt, eine Impfpflicht nur für besonders gefährdete Menschen rechtfertigen und selbst das finde ich schwierig. Ich kenne Menschen, über 80J. alt, die sich bewusst gegen eine Impfung entschieden haben, weil sie lieber das Risiko einer, vielleicht sogar tödlich verlaufenden, Erkrankung in Kauf nehmen wollen. Soll ihnen dieses Entscheidungsrecht genommen werden?

 

Berechtigte Bedenken gegen die Impfung wurden und werden grundsätzlich als Corona-Verleugnung oder Verschwörungstheorie (die es ja durchaus auch gibt) abqualifiziert. Nun wird ausgerechnet Moderna an viele Jugendliche verimpft, die dem Impfdruck verständlicherweise nachgeben, obwohl dieser Impfstoff in einigen Ländern wegen zu heftiger "Nebenwirkung" erst ab 30J. zugelassen ist. Das ist nur einer, von vielen kritischen Aspekten, aber in der öffentlichen Debatte findet keine sachliche Diskussion um die Vor- und Nachteile der Impfungen statt. Mit wissenschaftlichem Diskurs, Gleichberechtigung und Toleranz hat das alles nach meinem Empfinden nichts mehr zu tun. Umso wichtiger sich jetzt auf die positiven Kräfte zu konzentrieren, den eigenen Verstand zu gebrauchen und auf die eigene innere Stimme zu hören. Dazu, grade wegen des enormen Spaltungspotentials der Maßnahmen, bewusst Verbundenheit, trotz Unterschieden, pflegen.

 

"Toleranz besteht nicht darin, dass man die Ansichten eines andern teilt, sondern nur darin, dass man dem anderen das Recht einräumt, überhaupt anderer Ansicht zu sein." 

Viktor Frankl